Was wir über Liebe glauben – und was auch dahintersteckt

Liebe. Kaum ein anderes Wort löst so viele Emotionen aus. Wir sehnen uns nach ihr, wir verlieren sie, wir zweifeln an ihr. Manche nennen sie ein Gefühl, andere eine Entscheidung. Und ja, in gewisser Weise ist sie auch Biochemie. Was ist Liebe also – Gefühl, Entscheidung oder biologisches Programm? In diesem Blog teile ich mit dir, wie ich als analytische Pschychologin auf Liebe schaue – nebst meiner urinnersten Prägung, die sich nach Verbindung sehnt.

Dein Gehirn reagiert auf Nähe, Zuwendung und Körperkontakt mit einer feinen Mischung aus Hormonen wie Dopamin, Oxytocin und Serotonin. Sie schenken dir das warme, verbundene Gefühl, das du vielleicht aus den ersten Wochen einer neuen Liebe kennst. Doch Liebe ist mehr als nur Chemie – sie ist ein psychologisches Beziehungsgeschehen, das tief mit deinen inneren Erfahrungen verbunden ist.

Wie du liebst, hängt stark davon ab, wie du Bindung gelernt hast. Hast du als Kind erlebt, dass Nähe sicher ist? Oder war sie mit Unsicherheit verbunden? Diese frühen Prägungen beeinflussen, was sich später für dich «richtig» anfühlt – und was dich eher verunsichert. Liebe ist also nicht nur ein Gefühl, das dir passiert. Sie ist auch ein Spiegel deiner Geschichte.

Warum fühlst du dich zu bestimmten Menschen hingezogen – und nicht zu anderen?

Vielleicht kennst du das: Du triffst jemanden und spürst sofort eine besondere Anziehung. Der Funke springt über, ohne dass du erklären könntest, warum. Es fühlt sich vertraut an – fast so, als würdet ihr euch schon ewig kennen.

In der Bindungspsychologie spricht man davon, dass wir uns oft zu Menschen hingezogen fühlen, die unbewusst etwas in uns ansprechen, das wir kennen. Das kann Sicherheit bedeuten – oder auch Wiederholung. Wenn du zum Beispiel mit einem emotional distanzierten Elternteil aufgewachsen bist, kann es passieren, dass du dich immer wieder in Menschen verliebst, die auf eine ähnliche Weise unerreichbar sind. Es fühlt sich «richtig» an, weil es vertraut ist – nicht, weil es dich nährt.

Hier liegt ein grosses Wachstumsfeld: Du kannst lernen, zwischen dem zu unterscheiden, was vertraut ist, und dem, was dir wirklich guttut. Manchmal bedeutet das, dich für eine Art von Liebe zu öffnen, die sich anders anfühlt – ruhiger, stabiler, weniger aufregend, aber dafür echter.

Wann ist es wirklich Liebe – und wann eher Bedürftigkeit oder Angst?

Liebe kann dich stark machen – oder klein. Das hängt oft davon ab, ob sie aus Fülle kommt oder aus Mangel. Wenn du jemanden brauchst, um dich ganz zu fühlen, entsteht leicht eine Dynamik aus Abhängigkeit und Angst. Dann geht es weniger darum, gemeinsam zu wachsen, sondern darum, nicht allein zu sein.

Bedürftigkeit zeigt sich oft subtil. Vielleicht wartest du darauf, dass der andere dich bestätigt. Vielleicht gerätst du in Panik, wenn er sich zurückzieht. Vielleicht versuchst du, alles richtig zu machen, um nicht verlassen zu werden. Echte Liebe hingegen lässt Raum. Sie entsteht dort, wo du Nähe zulassen kannst, ohne dich selbst zu verlieren.

Eine kleine Reflexion:

  • Fühlst du dich in der Beziehung freier oder enger?

  • Kannst du du selbst sein – auch, wenn der andere dich gerade nicht bewundert oder versteht?
    Wenn du hier ehrlich hinschaust, lernst du zu unterscheiden, ob du aus Angst festhältst oder aus Liebe bleibst.

Warum Liebe manchmal schmerzhaft ist und was das über dich sagt

Liebe ist kein Dauerzustand von Leichtigkeit. Früher oder später wird sie dich mit deinen wunden Punkten konfrontieren. Vielleicht verletzt dich eine beiläufige Bemerkung deines Partners mehr, als du selbst verstehst. Vielleicht fühlst du dich plötzlich übersehen oder abgelehnt und reagierst heftiger, als die Situation es eigentlich rechtfertigt (für diejenigen, die bei mir im Training waren: Denkt an eure Trigger).

Das passiert, weil Beziehungen alte Emotionen berühren. Jemand, der dir nahe ist, kann unbewusst dieselben Knöpfe drücken wie früher Menschen, von denen du dir Liebe oder Aufmerksamkeit gewünscht hast. Der Schmerz ist dann nicht neu, er ist alt. Die Beziehung macht ihn nur sichtbar. Wenn du beginnst, solche Momente nicht als Bedrohung, sondern als Einladung zu sehen, kann etwas heilsam Neues entstehen. Statt sofort in Verteidigung oder Rückzug zu gehen, kannst du dich fragen:
«Was genau wurde gerade in mir berührt?»
«Ist das ein alter Schmerz oder wirklich etwas von jetzt?»
Diese Art von Bewusstheit lässt dich innerlich wachsen – und sie lässt Liebe reifer werden.

Wie wächst Liebe über die Verliebtheit hinaus?

Verliebtheit ist ein Feuerwerk. Sie zieht dich magnetisch an, lässt dich träumen, vergessen, zweifeln. Doch sie ist nur der Anfang. Wenn der Rausch sich legt, zeigt sich, ob du bereit bist, wirklich zu lieben. Liebe beginnt dort, wo die Projektion endet. Wenn du aufhörst, im anderen das zu sehen, was du dir wünschst, und beginnst, ihn wirklich wahrzunehmen – mit Licht und Schatten.
Das ist oft der Moment, in dem Enttäuschung einsetzt. Der andere ist nicht so perfekt, wie du gehofft hattest. Aber gerade hier kann echte Nähe entstehen.

Reife Liebe wächst, wenn du lernst, Unterschiede auszuhalten. Wenn du dich nicht verschliesst, weil etwas schwierig wird, sondern bleibst und kommunizierst. Wenn du Verantwortung für deine Gefühle übernimmst, statt sie dem anderen in die Schuhe zu schieben.

So wird Liebe weniger ein Zufall – und mehr eine bewusste Entscheidung.

Was bedeutet es, dich selbst zu lieben – und warum das der Anfang von allem ist

Selbstliebe ist kein Luxus, sondern die Basis jeder gesunden Beziehung. Sie bedeutet nicht, dich ständig grossartig zu finden, sondern freundlich mit dir zu sein – auch dann, wenn du dich gerade schwach, unsicher oder ungenügend fühlst. Dabei ist es essenziell, immer achtsam und ehrlich zu dir selbst zu sein. Denn wenn du hinhörst, nimmst du alles wahr und kannst darauf einwirken.

Wenn du lernst, dich selbst zu halten, brauchst du weniger, dass andere dich tragen. Du wirst innerlich unabhängiger, und das verändert alles: deine Grenzen, deine Erwartungen, deine Art, Nähe zuzulassen.

Ein kleiner Alltagsimpuls: Achte in den nächsten Tagen auf deinen inneren Dialog.
Was sagst du zu dir, wenn du etwas falsch machst? Wie sprichst du mit dir, wenn du dich zurückgewiesen fühlst? Versuche, diesen Ton liebevoller zu machen – als würdest du mit jemandem sprechen, den du wirklich gern hast. Je sicherer du in dir selbst ruhst, desto freier kannst du lieben.

Wenn du tiefer gehen willst: Achte auf deine Muster, sie wiederholen sich immer wieder, bis du sie bewusst unterbrichst. Dazu empfehle ich dir, meinen letzten Blog zu lesen. Denn, wie oben beschrieben: Deine Muster beeinflussen stark, wie du liebst.

Fazit: Liebe als Spiegel deiner inneren Welt

Liebe zeigt dir, wo du heil bist und wo du noch wachsen darfst.
Sie ist kein Ziel, das du erreichst, sondern ein Weg, der dich zu dir selbst führt. Jede Begegnung, jeder Konflikt, jede Nähe, jeder Abschied ist Teil dieses Weges.
Vielleicht ist das die tiefste Wahrheit über Liebe: Sie beginnt immer in dir.

Dann bist du fähig zur dich erfüllendsten Liebe. Dazu gefällt mir diese Passage aus Anne Morrow Lindberghs Buch «Muscheln in meiner Hand» (ein Buch, das ich von meiner Grossmutter bekommen habe):

«Wenn man jemanden liebt, so liebt man ihn nicht die ganze Zeit, nicht Stunde um Stunde auf die ganz gleiche Weise. Das ist unmöglich. Es wäre sogar eine Lüge, wollte man diesen Eindruck erwecken. Und doch ist es genau das, was die meisten fordern. Wir haben so wenig Vertrauen in die Gezeiten des Lebens, der Liebe, der Beziehungen. Wir jubeln der steigenden Flut entgegen und wehren uns erschrocken gegen die Ebbe. Wir haben Angst, die Flut würde nie zurückkehren. Wir verlangen Beständigkeit, Haltbarkeit und Fortdauer; und die einzig mögliche Fortdauer des Lebens wie der Liebe liegt im Wachstum, im täglichen Auf und Ab - in der Freiheit; einer Freiheit im Sinne von Tänzern, die sich kaum berühren und doch Partner in der gleichen Bewegung sind.»

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